Mitteilung Nr. 68 des Landesverbandes Nord im Deutschen Bühnenverein
V.i.S.d.P.: Geschäftsführer Dr. Joachim Benclowitz, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Nr. 68 Dezember 2022
Aktuelles
Zur sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von Gastkünstler*innen
Nach den Grundsatzentscheidungen des BSG zur beitragsrechtlichen Problematik der „durchgehenden Beschäftigung“ von Gastkünstler*innen in den Jahren 2013 (BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 12 R 13/10 R) und 2018 (BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 3/17) setzt sich immer häufiger in Verfahren vor den Sozial- und Landessozialgerichten die Auffassung durch, Gastkünstler*innen tageweise in der Sozialversicherung abzurechnen.
Nach dieser Rechtsprechung ist im Rahmen der objektiven Würdigung der Einzelumstände hierbei nicht nur auf die jeweils geschlossenen Verträge bzw. den Vertragswortlaut, sondern immer auch auf die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses abzustellen (BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 12 R 13/10 R – Rn. 25). Dies hat auch das Thüringer Landessozialgericht (L 12 R 513/17 n.v.) in seinem Hinweisbeschluss vom 14. Mai 2020 betont, dass Gastspielverträge von Künstler*innen einzeln zu betrachten und zu würdigen sind, wobei es entscheidend auf die gelebte Praxis ankommt.
Zur Klärung der Vorfrage der rechtssicheren beitragsrechtlichen Einordnung von Gastkünstler*innen als selbständig Tätige oder Arbeitnehmer dient das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV. Zur Unterscheidung zwischen selbständiger und abhängiger Tätigkeit im Sinne von § 7 SGB IV in dem notwendigen zweistufigen Verfahren ist mithin zu prüfen, ob entweder eine persönliche Abhängigkeit vorliegt, die den Beschäftigten in den Betrieb eingliedert und ihn unter das Weisungsrecht des Arbeitgebenden unterordnet oder zum anderen das Unternehmerrisiko des Tätigen ausschlaggebend ist.
Ergibt sich aus allen Merkmalen, dass sich bei Bühnenkünstler*innen die Tätigkeit im Wesentlichen im Bühnenauftritt erschöpft und lediglich Rahmenvorgaben hinsichtlich Ort und Zeit der Aufführung sowie des „groben“ Inhalts der Darbietung, innerhalb derer die übernommene Dienstleistung zu erbringen ist, zu beachten sind, keine Weisungsgebundenheit der Gastkünstler*innen und Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Bühne gegeben ist (BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 3/17 R – Rn. 14).
Gerade bei namhaften Gastkünstler*innen werden die künstlerisch- sowie schöpferisch-gestalterischen Fähigkeiten und damit eigenständige Leistungen, die der Tätigkeit ihr Gepräge geben, im Vordergrund stehen. So werden die „Dienste höherer Art“ eines Chefdirigenten als selbständige Tätigkeit einzuordnen sein, die ihm sowohl erlauben, Probetermine nach seinen zeitlichen Vorstellungen zu organisieren, als auch in unbegrenzter Dispositionsfreiheit grundsätzlich Konzerte innerhalb einer Spielzeit aufzuführen. (SG Konstanz, Urteil vom 25.11.2019 – S 4 R 2129/17 – Rn. 107f.). Dabei dient der Abgrenzungskatalog der Künstlersozialkasse für im Bereich Theater, Orchester, Rundfunk- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen tätige Personen lediglich als Orientierung für eine selbständige Tätigkeit bei Dirigenten, die im Rahmen eines Gastvertrages nicht mehr als fünf Vorstellungen oder Konzerte dirigieren. Da nach § 7a Absatz 2 SGB IV alle Umstände des Einzelfalls über die Frage, ob eine Beschäftigung vorliegt, zu berücksichtigen sind, lässt sich allein aus dieser Anzahl von Gastdirigaten keine Vorgabe für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung entnehmen (a.a.O. Rn. 121).
Handelt es sich bei den Gastkünstler*innen hingegen um abhängige Beschäftigte, die weisungsgebunden in den Bühnenbetrieb eingegliedert sind, bleibt festzulegen, wie diese sozialversicherungsrechtlich gegenüber den Einzugsstellen einzuordnen und in welcher Höhe Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Dabei wird regelmäßig die Zeit vom Beginn der Probenphase bis zur Premiere als durchgehende Beschäftigung anzusehen sein. Lediglich bereits vereinbarte Sperrtermine könnten diese durchgehende Beschäftigung unterbrechen.
Grundlegend anders sieht dies hingegen für die zumeist einzeln bereits im Vertrag vereinbarten Vorstellungstermine nach einer (ggf. Wiederaufnahme-)Premiere aus, in diesen Fällen sind nur für die Vorstellungstage Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. So hat dies auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 19. November 2015 (L 1 R 338/13 n.v.) beurteilt.
Sollten die Gastkünstler*innen an einer Stammbühne beschäftigt sein, wird diese auf ihr Weisungsrecht nur an den Aufführungstagen verzichten. Solche Fälle sollten sich klar einordnen lassen.
Soweit Gastkünstler*innen nicht an einer Stammbühne beschäftigt sind, suchen sie sich für die Zeit zwischen den Vorstellungsterminen naheliegend weitere Engagements oder melden sich arbeitslos.
Insbesondere besteht keine Verpflichtung der Gastkünstler*innen zur Dienst- oder Arbeitsbereitschaft in den Zeiten zwischen den Vorstellungsterminen dadurch, dass weitere Termine in Aussicht gestellt werden bzw. noch vereinbart werden können und dafür eine Verpflichtung zur Kontaktaufnahme besteht, wie von der Rechtsprechung angenommen (BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 12 R 13/10 R – Rn. 26).
Gerade dadurch, dass weitere Termine stets nur in enger Abstimmung mit den Gastkünstler*innen gemeinsam vereinbart werden können, bestätigt in konsequenter Weise, dass angesichts der tatsächlichen Verhältnisse die Beschäftigung auch tageweise abgerechnet werden muss. Da angefragte Künstler*innen auch Vorstellungen absagen und Rollen anders besetzt werden können, kommt es allein auf die einvernehmliche Terminabstimmung und mitnichten einseitige Verfügungsbefugnis der Bühne zur Terminbestimmung an.
Wenn nicht bereits auf dem Vergleichswege, kann dann in den Klageverfahren vor den Sozialgerichten gegen Bescheide der Betriebsprüfung, mit denen Gesamtsozialversicherungsbeiträge wegen zu Unrecht angenommener durchgehender Beschäftigung von Gastkünstler*innen nachgefordert werden, erfolgreich vorgegangen werden.