V.i.S.d.P.: Geschäftsführer Dr. Joachim Benclowitz, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Nr. 64 Juli 2020
A. Aktuelles
I. Rückkehr aus dem Risikogebiet
II. Kurzarbeit in der Pandemie
B. Aktuelle Fälle
Noch einmal: „Abseitsfallen“ bei der Erstbefristung wegen tarifvertraglichem Schriftformerfordernis
C. Exkurs
Die rechtlichen Schwierigkeiten einer Änderungsmitteilung
A. Aktuelles
I. Rechtsprobleme bei der Rückkehr aus dem Risikogebiet
Zunächst wird insoweit auf das Rundschreiben des Hauptverbandes U 139/2020 zur arbeitsrechtlichen Situation bei Reisen von Mitarbeitern in Risikogebiete sowie entsprechende Empfehlungen für den Fall, wenn ein Beschäftigter wegen der Anordnung der Quarantäne durch eine Coronareiseverordnung in dem jeweiligen Bundesland seine Beschäftigung nicht ausüben kann, Bezug genommen. Ist der Urlaub vorbei, kann es im Anschluss also problematisch werden. Bedeutsam ist somit, worauf man derzeit bei der Einreise nach Deutschland vorbereitet sein soll-te.
1. Bedeutung „Risikogebiet“
Bekannt ist bislang die Reisewarnung – ein dringender Appell des Auswärtigen Amtes (AA) von einer Reise in ein Land abzusehen. Für die meisten europäischen Länder würde die in der Corona-Pandemie ausgesprochene Warnung aufgeho-ben, für mehr als 160 Länder weltweit gilt sie bis zum 31. Aug. 2020. Die Liste wird regelmäßig geprüft. Darüber hinaus gibt es noch die RKI-Liste mit Risikogebieten. Sie enthält Länder, in denen entweder ein erhöhtes Risiko besteht, sich mit dem Coronavirus zu infizieren oder in denen die Fallzahlen zwar niedrig sind, es aber z.B. zu wenige Testkapazitäten gibt. Auf dieser Liste, die von den zuständigen Mi-nisterien wöchentlich überprüft wird, stehen auch einige beliebte Urlaubsziele wie die Türkei und Ägypten. Ein Land kann also als Risikogebiet bewertet werden, oh-ne dass eine Reisewarnung vorliegt. Bedeutsam ist somit in erster Linie, in welche Kategorie das Reiseland fällt. Denn das hat praktische Auswirkungen bei der Rückkehr nach Deutschland: Laut Infektionsschutzverordnung müssen sich Rei-sende, die in einem Risikogebiet waren, bei der Rückkehr nach Deutschland für 14 Tage in Isolation begeben.
2. Konsequenzen für en Arbeitnehmer
Eine allgemeine Quarantäne-Verordnung für alle Urlaubsrückkehrer aus Risiko-gebieten kann u.U. auch für Arbeitnehmer zum Problem werden: Beschäftigte, die nach einem Urlaub für 14 Tage zu Hause bleiben müssen, gehen das Risiko ein, für diese Zeit keinen Lohn zu erhalten. Darauf weist der Hauptverband des Deut-schen Bühnenvereins in seinem Rundschreiben U 139/2020 zu Recht hin. Eben-so darauf, dass einzelne Bundesländer hier in ihren aktuellen Verordnungen spe-zifischere, teils aber voneinander abweichende Regelungen getroffen haben. Das Problem besteht darin, dass Beschäftigte im Falle einer Quarantäne ihren Arbeits-platz nicht aufsuchen dürfen – und ohne Arbeitsleistung erhalten sie nach § 614 BGB keinen Lohn. Lohn-Entschädigungen im Quarantänefall gibt es nach § 56 im Infektionsschutzgesetz nur bei einer behördlich und individuell angeordneten Quarantäne, wie sie z.B. ein Gesundheitsamt nach Kontakt mit einer Risikoperson anordnen kann. Der Arbeitgeber zahlt dann für die Zeit Leistungen in Höhe des Verdienstausfalls an den Arbeitnehmer. Über eine Quarantänepflicht für Reise-Rückkehrer entscheiden jeweils die Bundesländer (§ 32 IFSG).
Für solche allgemein gültigen Landesverordnungen greift die Entschädigungsre-gelung aber nicht. Eine Möglichkeit kann für Berufstätige sein, für die Zeit der Quarantäne von zu Hause aus zu arbeiten. Das wird wohl nur dann möglich sein, wenn es entsprechende Vereinbarungen im Betrieb gibt und die Art der Tätigkeit dies gestattet, was bei künstlerischen Tätigkeiten, wenn man von dem häuslichen Üben mal absieht, schwer vorstellbar ist. Für den Fall, dass doch ausnahmsweise Homeoffice bei bestimmten Arbeiten möglich ist bzw. es entsprechende Vereinba-rungen im Betrieb ist, bekommen Beschäftigte auch weiterhin Lohn.
Eine Reise in ein Risikogebiet komplett verbieten dürfen Arbeitgeber hierbei aller-dings nicht: Wie Arbeitnehmer ihren Urlaub gestalten, liegt außerhalb des Wei-sungsrechts des Arbeitgebers.
II. Kurzarbeit in der Pandemie: Rechtsfragen und (schon) Antworten?
1. Kurzarbeit – die aktuelle Faktenlage
Kurzarbeitergeld wird nach den § 95 ff. SGB III gewährt:
60 / 67 % der Nettoentgeltdifferenz ohne Mehrarbeit und Einmalzahlungen
bis Jahresende: ab 4. Monat 70 / 77 %
ab 7. Monat: 80 / 87 %
volle Übernahme der Remanenzkosten durch Bundesanstalt für Arbeit (§ 2 KugV vom 23.3.2020)
2. Problematik der rechtswirksamen Verkürzung der Arbeitszeit durch Betriebsver-einbarung (Kurzarbeit)
In diesem Zusammenhang ist auf eine recht aktuelle Entscheidung des BAG vom 19.11.2015 (5 AZR 491/14) hinzuweisen. Danach muss eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten so deutlich regeln, dass diese für die Arbeitnehmer zuverlässig zu erkennen sind. Erforderlich sind mindestens die Bestimmung von Beginn und Dauer der Kurzar-beit, die Regelung der Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer. Entspricht die Betriebsvereinbarung nicht diesen Min-destanforderungen, ist Kurzarbeit nicht wirksam eingeführt. Gleiches gilt für den Fall, wie beispielsweise einzelnen Privattheatern oder Orchestern, die über keinen Betriebs- oder Personalrat verfügen, hinsichtlich entsprechender einzelarbeitsver-traglicher Regelungen zwecks Verkürzung der Arbeitszeit.
Wichtiger Hinweis:
Die Einhaltung dieser „essentials“ bei Abschluss einer Pandemie bedingten Be-triebsvereinbarung ist wegen der Ausübung von Direktionsrechten bei „Hochfah-ren“ der Theater zwingend.
3. Verhältnis Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigung
Nach BAG (Urteil vom 23.2.2012 – 2 AZR 548/10) ist folgendes zu beachten:
„Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunke-nen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Dieses aus der Kurzarbeit folgende Indiz kann der Arbeitgeber nur durch konkreten Sachvor-trag entkräften. Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurz-arbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und / oder organisatorischer Rahmenbedingun-gen (z.B. bei „Coronafassungen“) auf Dauer, so kann trotz der Kurzarbeit ein drin-gendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen, soweit betriebsbe-dingte Kündigungen nicht generell im Rahmen einer Betriebsvereinbarung (aus-nahmslos ausgeschlossen wurden).
Haben die Betriebsparteien durch die Einführung von Kurzarbeit den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit auf ein Niveau abgesenkt, das den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gerade überflüssig macht, so kann ein dringendes betriebliches Kündigungserfordernis regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Arbeitsreduzierung voll ausgeschöpft hat und gleichwohl noch ein Beschäftigungsüberhang besteht.
4. Kurzarbeit und Urlaubsrecht – Entstehen von Urlaubsansprüchen?
Nach BAG (Urteil vom 19.3.2019 – 9 AZR 406/17) ist bei einem unterjährigen Wechsel der Anzahl der Arbeitstage in der Kalenderwoche der Urlaubsanspruch für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht um-zurechnen. Für Zeiten des unbezahlten Sonderurlaubs besteht grundsätzlich kein gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlen Erholungsurlaub. Der Zeitraum des unbezahlten Sonderurlaubs ist bei der Berechnung des Urlaubsan-spruchs regelmäßig mit 0 Arbeitstagen in Ansatz zu bringen.
Nach EuGH (13.12.2018 – C-385/17 (Hein)) erwirbt ein Arbeitnehmer Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nur für die Zeiträume, in denen er tatsächlich gearbei-tet hat, so dass nach EuGH für Kurzarbeitszeiten, in denen er nicht gearbeitet hat, jedenfalls kein auf der Grundrechtscharta (Art. 31 Abs. 2) der Europäischen Union beruhender Urlaubsanspruch entsteht.
B. Aktuelle Fälle
Noch einmal: „Abseitsfallen“ bei der Erstbefristung wegen tarifvertraglichem Schriftformerfordernis
Wir hatten bereits in unserer letzten Landesverbandsmitteilung auf eine sehr aktu-elle Rechtsprechung des Bühnenschiedsgerichts München (1/18) mit Schieds-spruch vom 15.4.2019 hingewiesen, wonach bei Nichteinhaltung tariflicher Anfor-derungen des § 2 Abs. 1 NV Bühne (Verwendung des dem Tarifvertrag als Anlage beigefügten Musters!) die erforderliche Schriftform des § 14 Abs. 4 TzBfG hin-sichtlich der (folgenden) befristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht eingehalten ist, mit der Folge, dass zwischen den Parteien dann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.
Vor diesem Hintergrund wird dringend empfohlen, noch einmal alle „Erstverträge“ (also die erste Befristung) daraufhin zu überprüfen, ob der Arbeitsvertrag unter Verwendung der dem Tarifvertrag als Anlage beigefügten Muster abgeschlossen wurde. Dies hat insbesondere dann fatale Auswirkungen, wenn zu einem späte-ren Zeitpunkt, möglicherweise erst nach 10 – 15 Jahren eine Nichtverlängerungs- oder Änderungsmitteilung ausgesprochen wurde und dann – wie aktuell in einem Bühnenschiedsgerichtsverfahren der Fall – von dem Künstler eingewandt wird, dass die Nichtverlängerungsmitteilung schon deshalb unwirksam sei, weil zwi-schen den Parteien ursprünglich (Erstbefristung) ein unbefristetes und kein wirk-sam befristetes Arbeitsverhältnis zur Entstehung gelangt sei. So führt nämlich das Fehlen einer wirksamen Befristung nicht zur Unwirksamkeit der Nichtverlänge-rungsmitteilung, sondern dazu, dass diese ins Leere geht (so auch LAG Köln, 12.9.2014 – 9 Sa 730/13, Rn. 70).
C. Exkurs
Die rechtlichen Schwierigkeiten einer Änderungsmitteilung
Änderungsmitteilungen sind erforderlich, wenn der Intendant den Vertrag mit ei-nem Bühnenmitglied nicht beenden, sondern nur ändern möchte oder nach § 61 Abs. 3 NV Bühne gar keine andere Möglichkeit als die einer Änderungsmitteilung zu geringerer Leistung und geringerer Gage besitzt, weil es sich um Mitglieder mit über 15 Dienstjahren handelt. Rein theoretisch ist die Sache ganz einfach. Der Intendant bietet einen geänderten Vertrag an. Nimmt das Mitglied das Änderungs-angebot nicht an, endet das Arbeitsverhältnis durch ordnungsgemäße Nichtver-längerungsmitteilung nach Anhörung selbst in Fällen des erhöhten Bestands-schutzes kraft längerer als 15-jähriger Betriebszugehörigkeit des Mitglieds. Die praktische Durchführung der Änderungsmitteilung führt jedoch in der Praxis häu-fig zu rechtstechnischen Fragen, auf die hier noch einmal eingegangen werden soll.
Zur Klarstellung sei vorab gesagt und hier unterstellt, dass sich ein Intendant und Mitglied bei der Anhörung nicht auf einen geänderten Vertrag einigen; denn dann würde der Änderungsvertrag mit der Schlussformel, dass damit der laufende Ver-trag ende, schlicht unterschrieben und der Fall wäre erledigt. Hier geht es also um den gar nicht so seltenen Fall, dass keine Einigung erzielt wird, weil der Intendant beispielsweise einen Sänger*in nicht mehr in bestimmten Fächern oder den Schauspieler*in nicht mehr in bestimmten Rollen sieht, während das Mitglied meint, seine große Zeit komme erst noch.
Nachfolgend sei die Vertragspartnerin „Frau Müller“ genannt, wobei Identitäten absolut zufällig wären:
1. Schriftliche Einladung an Frau Müller
„Hiermit lade ich Sie gem. § 61 Abs. 3 NV Bühne zum … um … Uhr in mein Büro ein.“
2. Im Anhörungstermin erklärt der Intendant:
„Ihr Dienstvertrag ist nicht mehr realistisch. Das Fach der beispielsweise 1. Sängerin bzw. die Rollen können von Ihnen nicht mehr vertragsgemäß wahrgenommen werden (es folgen evtl. weitere Gründe). Daher biete ich Ihnen bereits ab Beginn der Spielzeit … folgenden geänderten Vertrag an:
….
Sie können sich die Sache bis zum … (zweckmäßig 4 Wochen auch wenn dieser Zeitraum in die Ferien fällt; Frau Müller kann aus dem Urlaub schrei-ben) überlegen. Geht bis dahin Ihr Einverständnis ein, werden wir den Ver-trag zu Beginn der neuen Spielzeit entsprechend ändern. Geht Ihr Einver-ständnis bis zu diesem Zeitpunkt nicht ein oder erhalte ich eine Ablehnung von Ihnen bis zu diesem Zeitpunkt, werde ich Ihnen den geänderten Ver-trag in schriftlicher Form, von mir unterzeichnet, im September … übersen-den. Die Änderung tritt dann allerdings erst ab Spielzeitbeginn (folgende Spielzeit) ein. Sie haben das Recht, den Änderungsvertrag bis Ende Sep-tember … anzunehmen oder abzulehnen. Sollten Sie ablehnen, endet un-ser Vertragsverhältnis endgültig mit dem Ende der Spielzeit …“
3. Akzeptiert Frau Müller den Änderungsvertrag bereits ab Beginn der ent-sprechenden Spielzeit, sollte man sogleich nach dem Anhörungstermin den Vertrag ausfertigen und beiderseits unterschreiben lassen. Akzeptiert Frau Müller im Anhörungstermin den Änderungsvertrag nicht, so ergeht so-fort nach der Anhörung (Zugang spätestens am 31.7., zweckmäßig früher!) folgendes Schreiben (Übergabe persönlich mit Empfangsbestätigung, nicht Einschreiben!):
„Ich nehme Bezug auf unser Anhörungsgespräch vom … Anliegend biete ich Ihnen rechtsverbindlich den geänderten Vertrag mit Beginn der Spielzeit … (beispielsweise 2021/22) an. Sollte der anliegende Änderungsvertrag nicht spätestens bis zum … von Ihnen angenommen werden, endet unser Vertragsverhältnis endgültig mit dem Schluss der Spielzeit 2021/22 (dem geänderten Vertrag, vom Intendanten bzw. Geschäftsführer bereits rechts-verbindlich unterschrieben beifügen!).“
Die vorstehende „Verfahrensordnung“ stellt klar, dass es zu der Änderungserklä-rung einer formell gültigen Nichtverlängerungsmitteilung nach vorheriger korrekter Anhörung bedarf. Die aufgetretenen Schwierigkeiten entstehen dadurch, dass Änderung, Anhörung und Mitteilung in einem Zuge erfolgen sollen und auch im Interesse der Zeitersparnis (alles kommt kurz vor Ende der Spielzeit auf den Tisch des Intendanten, und dann fangen auch noch die Ferien an, was die Zustellung der erforderlichen Schriftstücke fast unmöglich macht) können.