V.i.S.d.P.: Geschäftsführer Dr. Joachim Benclowitz, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Nr. 65 Sept. 2020
A. Aktuelles
I. Schadenersatz wegen nicht angemessener Beschäftigung (§ 54 NV Bühne) – hier: sozialversicherungsrechtliche Behandlung
II. Sozialversicherungsrechtliche Betrachtung von Zahlungen bei Nichtverlängerungsmitteilungen im Bereich NV Bühne
B. Aktuelle Fälle
I. Kündigung eines Gastvertrages nach pandemiebedingter Produktionsabsage
II. NV Bühne-Nichtverlängerung eines Mitglieds der Gewerkschaft ver.di
C. Exkurs
Aufführungsrecht in Pandemiezeiten – insbesondere: „Wegfall der Geschäftsgrundlage“
A. Aktuelles
I. Schadenersatz wegen nicht angemessener Beschäftigung (§ 54 NV Bühne) – hier: sozialversicherungsrechtliche Behandlung
Im Zusammenhang mit der Zahlung von Entschädigungen aufgrund § 54 NV Bühne wegen unangemessener Beschäftigung eines Bühnenkünstlers stellt sich die Frage einer möglicherweise bestehenden SV-Beitragspflicht bei entsprechenden Entschädigungszahlungen.
Nach § 14 SGB IV ist beitragspflichtig, was dem Arbeitnehmer als Gegenwert für geleistete Arbeit zufließt. Die fragliche Entschädigung wird im Falle des § 54 NV Bühne aber gerade nicht für geleistete Arbeiten gezahlt, sondern basiert auf einer Pflichtverletzung des Arbeitgebers im Sinne des § 54 NV Bühne und erfüllt hiernach nicht den sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsbegriff.
Zudem haben Künstler in diesen Fällen ihre vertraglichen und tariflichen Ansprüche für die tatsächlich geleistete Arbeit bis zu ihrem Ausscheiden auch ordnungsgemäß erhalten und stellen damit den Gegenwert der geleisteten Arbeit dar. Das LAG Köln hat in seinem Urteil vom 27.1.2016 (Az.: 11 Sa 765/15) im Falle eines Tanzgruppenmitglieds auf den Charakter der Entschädigung nach § 54 NV Bühne als Schadenersatz verwiesen. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) verweist im Urteil vom 26.8.2016 (Az.: VI B 95/15) darauf, dass im Falle einer Schadensersatzzahlung an Arbeitnehmer, die infolge Verletzung arbeitsrechtliche Fürsorgepflichten wegen eines materiellen oder materiellen Schadens geleistet werden, gerade kein Arbeitslohn vorliege.
Infolge dessen wird auch von dem Unterzeichner die Auffassung vertreten, dass aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht hierbei Entschädigungs- bzw. Schadenersatzzahlungen wegen § 54 NV Bühne kein beitragspflichtiges Entgelt vorliegen kann. Diese Auffassung wird insbesondere auch gestützt durch die höchst richterliche Rechtsprechung des BAG mit Urteil vom 12.11.1985 (Az.: 3 AZR 576/83). Das BAG hatte in diesem Falle eine Entscheidung des Bühnenschiedsgerichts zu überprüfen und hatte bei einem Schauspieler insbesondere folgendes ausgeführt:
(Zitat): „Dass infolge der Nichtbeschäftigung (gemeint ist die nicht angemessene Beschäftigung) vor allem zwei Schadensursachen bestehen, nämlich die fehlende Weiterbildung der künstlerischen Kräfte und Fähigkeiten sowie die Minderung des Ansehens des Künstlers in Theater, Funk, Fernsehen und Werbung, beide jeweils mit langfristiger Wirkung im Berufsleben.“ (Rn. 26).
Damit ist klargestellt, dass die Entschädigung hier Schadenersatz, nicht aber Arbeitslohn im Sinne der Sozialversicherung sein kann (eigentlich auch nicht Arbeitslohn im Sinne der Besteuerung) und hiernach wohl nicht der Sozialversicherungsbeitragspflicht unterliegt. Im Ergebnis raten wir, bei anderweitiger Auffassung der Sozialversicherungsträger im Prüfungsfall, hier diesen Standpunkt zu vertreten und würden zu einer richterlichen Klärung anraten.
II. Sozialversicherungsrechtliche Betrachtung von Zahlungen bei Nichtverlängerungsmitteilungen im Bereich NV Bühne
In letzter Zeit ist vermehrt aus Anlass betrieblicher Prüfungen die Frag aufgetaucht, wie Zahlungen bei Beendigung eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere Abfindungen nach Ausspruch von Nichtverlängerungsmitteilungen – dies beispielsweise auch im Rahmen entsprechender vergleichsweiser Verständigungen – zu behandeln sind. Jüngst ist insbesondere von der DRV Bund in einem Bescheid ursprünglich die Ansicht vertreten wurden, dass entsprechende Abfindungszahlungen nicht sozialversicherungsrechtlich beitragsfreie Abfindungszahlungen darstellen. Hiergegen hat das Theater nunmehr mit Erfolg Widerspruch eingelegt mit dem Ergebnis, dass entsprechende Zahlungen bei Beendigung eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses auf Basis des NV Bühne nunmehr als sozialversicherungsrechtlich beitragsfreie Abfindungszahlungen anerkannt wurden. (Az. DRV Bund: 2303-61-01254721)
B. Aktuelle Fälle
I. Kündigung eines Gastvertrages nach pandemiebedingter Produktionsabsage
Nachdem für die bevorstehende Saison feststand, dass das hier beteiligte Theater seinen Saal nur zu einem Viertel besetzen kann und eine geplante Großproduktion unter den Corona-Verordnungen nicht durchführen kann, stellte sich die Frage, wie mit dem als Gast engagierten Hauptdarsteller verfahren werden soll.
Die Einschränkungen für den Theaterbetrieb kosten die städtische gGmbH einen Einnahmeausfall von ca. 650.000 EUR – und das nur durch die verminderte Platzvergabe. Da eine Beschäftigung für den Hauptdarsteller bis zu Vertragsende schlicht unmöglich geworden war, kündigte ihm das Theater fristlos aus wichtigem Grund gem. §626 BGB. Nach dagegen erhobener Klage galt es zu klären, welche Form der gekündigte Gastvertrag überhaupt hatte. Der Kläger ging von einem Arbeitsvertrag aus, da die Tätigkeit als Opernsänger grundsätzlich als weisungsgebunden eingestuft werden kann und der Kläger bei allen seinen Aufträgen an deutschen Bühnen als Arbeitnehmer abgerechnet und versteuert wird. Das Theater hatte laut Kläger eine terminliche Verfügungsbefugnis, die für eine Weisungsabhängigkeit und gegen eine gegenseitige Freiheit sprach. Auch wies der Vertrag kein Merkmal eines Vertrages für Selbstständige hinsichtlich eines Hinweises auf die Mehrwertsteuer. Unter den Voraussetzungen eines vorliegenden Arbeitsvertrags hätte somit das Annahmeverzugsrisiko bei der Beklagten gelegen.
Die Beklagte argumentierte jedoch unter der Annahme eines freiberuflichen Dienstvertrages gemäß §611 BGB unter Hinweis auf das BAG-Urteil vom 07.02.2007 dahingehend, dass der Annahmeverzug gemäß §615 BGB abbedungen worden sei. Die Möglichkeit der Absage von Vorstellungen sei unter Honorarausfall vereinbart worden, bezahlt werden sollten nur die tatsächlich wahrgenommenen Vorstellungen. Auch ist der Kläger als als ein Gast auftretender Sänger eben nicht als Arbeitnehmer einzustufen, sondern selbstständig. Der Premierentermin sowie die weiteren Vorstellungstermine seien konsensual nach zuvoriger Absprache vereinbart worden, was das künstlerische Weisungsrecht deutlich beschränkte und somit von keiner Weisungsgebundenheit im arbeitsvertraglichen Sinne gesprochen werden kann. Insbesondere die Vereinbarung der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit schließt das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages offensichtlich aus.
Letztlich wurde sich zwar nicht auf eine Definition der Form des Gastvertrages, aber gerichtlich auf eine Abfindung geeinigt.
II. NV Bühne-Nichtverlängerung eines Mitglieds der Gewerkschaft ver.di
In einem vor dem Arbeitsgericht Hannover anhängigen Fall streiten sich die Parteien um die Frage, ob die von der Theater GmbH gegenüber einem Bühnenmaler ausgesprochene Nichtverlängerungsmitteilung wirksam war und ob das Anstellungsverhältnis der Parteien fortbesteht.
Der Kläger war bei dem Theater seit ca. zwei Jahren auf der Grundlage des NV Bühne beschäftigt. Unter §2 des Arbeitsvertrages ist geregelt, dass sich das Arbeitsverhältnis entsprechend zu gleichen Bedingungen um eine Spielzeit verlängert, wenn nicht eine Nichtverlängerungsmitteilung (NVM) gemäß §69 NV Bühne (Nichtverlängerungsmitteilung – Bühnentechniker) ausgesprochen wird.
Der Kläger hatte sich im Vorstellungsgespräch als erfahrener, eigenständig arbeitender Theatermaler vorgestellt und ist insbesondere unter diesen Voraussetzungen eingestellt worden. Im Laufe der Beschäftigung stellte sich jedoch heraus, dass er die an ihn gestellten künstlerischen Anforderungen nicht erfüllen konnte. Daraus folgte dann die streitgegenständliche NVM.
Durch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ließ der Kläger nunmehr ausführen, dass er nicht überwiegend künstlerisch tätig gewesen sei und dass zusätzlich von vornherein ein sachlicher Grund für die Befristung des Dienstverhältnisses gefehlt habe.
Der jetzige Abgrenzungskatalog des TVöD in der Protokollerklärung Nr. 4 zu Abs. 2 lit. n TVöD stellt eindeutig klar, welche Mitarbeiter „in der Regel“ nicht unter den TVöD fallen, insbesondere auch Theatermaler. Trotzdem berief sich der Kläger auf eine vorliegende Ausnahme von diesem tariflichen Grundsatz. Er sei während seines Arbeitsverhältnisses nicht dem Berufsbild eines Theatermalers entsprechend beschäftigt worden.
Allerdings wäre dann von vornherein der TVöD zu vereinbaren gewesen, wenn überwiegend keine künstlerische Tätigkeit geleistet werden sollte. Diese wurde jedoch bei Vertragsschluss mit §1 Abs. 3 Unterabs. 2 NV Bühne schon ausdrücklich vereinbart. Bei beidseitiger Tarifbindung (§4 Abs. 1 TVG) wie bei Bühnenmaler*innen ist eine Anwendbarkeit somit über den Geltungsbereich schon grundsätzlich ausgeschlossen.
Von dem Abschluss eines NV-Bühne Vertrages hatte der Kläger zu Vertragsbeginn auch schon dahingehend profitiert, dass er seine Gage selbstständig aushandeln konnte (Prinzip der freien Gagenaushandelbarkeit des NV Bühne, siehe §58 Abs. 1 NV Bühne) und keine Probezeit durchlaufen musste. Auf die Eingruppierung in den NV Bühne wurde zudem bereits in der Stellenausschreibung hingewiesen, sowie dessen Ausprägung in der künstlerischen Tätigkeit vereinbart.
Der Unterschied zwischen künstlerisch und nicht künstlerisch tätigen Malern wird vom Theater selbst dahingehend berücksichtigt, dass in der Gruppe der Bühnenmaler*innen ein kleiner Teil extra im TVöD eingruppiert ist, der eben die im Wesentlichen nicht-künstlerischen Tätigkeiten im Malsaal ausführt. Zu dieser Gruppe gehörte der Kläger wie dargelegt nicht.
Die Tarifvertragsparteien haben den Geltungsbereich des Tarifvertrags für technische Angestellte mit künstlerischer oder überwiegend künstlerischer Tätigkeit an Bühnen auch auf Theatermaler erstreckt, §1 Abs. 3 NV Bühne. Der Theatermaler per se erbringt also eine überwiegend künstlerische Tätigkeit. Auch kann problemlos der NV Bühne für Mitarbeiter vereinbart werden, die gemäß der Protokollerklärung Nr. 4 zu Abs. 2 lit. n TVöD nicht unter den TVöD fallen. Ein Ausnahmetatbestand in der Gestalt, dass der Kläger überwiegend keine künstlerische Tätigkeit leisten sollte, war offensichtlich nicht gegeben. Der Kläger sieht sich selbst als Künstler und beschreibt seine Tätigkeit auf seinem Internetauftritt auch solche.
Die künstlerische Tätigkeit ist u.a. so zu definieren, dass der Maler durch seine gestaltende Arbeit Einfluss auf das künstlerische Gesamtergebnis nimmt. Das von ihm hergestellte Endprodukt ist maßgeblich durch seine kreativen Fähigkeiten beeinflusst und als sein eigenständiges künstlerisches Werk zu bezeichnen. Die Einordnung ist umso mehr eindeutig.
Auch wenn dem Kläger schließlich aufgrund fachlicher Mängel keine hochqualifizierten Malertätigkeiten übertragen werden konnten, kann dies nicht zu einer Ausnahme zur Protokollerklärung führen. Die Beklagte fügte hierzu den Hinweis an, dass der Kläger, wäre er unter den TVöD gefallen und hätte somit eine Probezeit durchlaufen müssen, diese Probezeit nicht bestanden hätte. Es gilt weiter der Grundsatz, dass der Kläger nicht unter den Anwendungsbereich des TVöD fällt – alles andere erschiene auch unverhältnismäßig, da die Abteilung der Beklagten mit dem nicht zu erfüllenden Leistungsanspruch konfrontiert war und den Kläger auch entsprechend seiner fachlichen Befähigung einsetzen musste, um ihn nicht zu überfordern. Sowieso kommt es aber für die Wirksamkeit einer Befristung des Arbeitsverhältnisses stets nur auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden Umstände an, vorliegend also auf den wirksamen befristeten Vertragsschluss unter Eingruppierung in den NV Bühne.
Der Rechtsstreit ist noch nicht entschieden, wir werden weiter berichten.
C. Exkurs
Aufführungsrecht in Pandemiezeiten – insbesondere: „Wegfall der Geschäftsgrundlage“
In unserer Beratungspraxis taucht in letzter Zeit häufig die Frage auf, wie ein Theater bei pandemiebedingten Einschränkungen (Hygieneregeln) gegenüber einem insbesondere bei schon geschlossenen Aufführungsverträgen (beispielsweise bei großen Stücken mit einer größeren Anzahl von Schauspieler*innen) hierauf möglicherweise reagieren kann. In Sachverhaltskonstellationen wie diese ist nunmehr der § 313 BGB in den Blick zu nehmen. § 313 BGB regelt den überkommenen richterrechtlichen „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ gesetzlich als „Störung der Geschäftsgrundlage“ sowohl auf der Tatbestandsebene als auch auf der Rechtsfolgenseite.
Festzustellen sind zunächst die Voraussetzungen, die die vertraglichen Grundlagen möglicherweise modifizieren können („schwerwiegende Veränderung der für die Vertragsgrundlagen maßgeblichen Umstände“). In erster Linie schreibt hier das Gesetz in Abs. 1 des § 313 BGB vor, dass zunächst die Vertragsanpassung zu erfolgen hat. Erst dann, wenn diese (konsensual) nicht möglich ist bzw. ausscheidet (z.B. „Stücketausch“ in kleinere Formate oder Verschiebung der Aufführungspflicht) kommt als ultimo ratio dann der Rücktritt vom Vertrag bzw. dessen Kündigung in Betracht (§ 313 Abs. 3 BGB).
Bei einer entsprechenden Risikoverschiebung, insbesondere aufgrund pandemiebedingter Unmöglichkeit (vgl. auch § 275 BGB) kommt für ein Theaterunternehmen also auch die Möglichkeit in Betracht, nach § 313 Abs. 3 BGB sogar in Gestalt eines Rücktritts bzw. einer Kündigung vom Vertrag vorzugehen, falls es sich um „schwerwiegende Umstände“ handelt, die von keiner Vertragspartei vorhersehbar waren und daher auch keiner Vertragspartei zugerechnet werden können.
Empfehlenswert ist natürlich immer erst die vorrangig zu prüfende Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB und damit eine „Verhandlungslösung“. Erst wenn dies nicht möglich erscheint, käme dann als ultimo ratio Rücktritt und Kündigung bzw. Vertragsaufhebung in Betracht, was indes auch für die (betroffenen) Autoren sicherlich nicht eine wünschenswerte Lösung wäre.