V.i.S.d.P.: Geschäftsführer Joachim Benclowitz, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Nr. 51 Mai 2014
A. Aktuelles
I. Immer wieder: Dauer der Probe für die konzertante Aufführung eines musikalischen Bühnenwerkes § 12 Abs. 4 Unterabsatz 1 oder § 12
Abs. 4 Unterabsatz 2 ?
II. Umsatzsteuer für Bühnen- und Kostümbildner
B. Aktuelle Fälle
I. Entschädigungsanspruch wegen Behinderung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG – Kenntnis des Arbeitgebers (BAG 26.09.2013, Aktz.: 8 AZR
650/12)
II. Teilzeittätigkeit eines Vorspielers (LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 15.10.2013, Aktz.: 5 Sa 119/13)
III. Ausgleichszahlung wegen verkürzter Ruhezeiten, § 56 Abs. 3 NV Bühne (BOSchG Frankfurt am Main 5/13)
IV. Zustimmungsersetzung zur Eingruppierung einer Leiterin der Requisite in den NV Bühne (ArbG Bremen-Bremerhaven, Aktz.: 8 BV 816/13)
C. Aktuelle Rechtsprechung
I. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist – Fremdvergabe von Tätigkeiten ( BAG 20.6.2013, 2 AZR 379/12 )
II. Erstattung von Weiterbildungskosten – Transparenz einer Rückzahlungsklausel (BAG v. 9.08.2013, 9 AZR 442/12),
III. Befristete Leiharbeit und dauerhafter Beschäftigungsbedarf (LAG Schleswig-Holstein 08.01.2014, 3 TaBV 43/13)
IV. Keine Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anordnung des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern, an einem Mediations-
abschlussgespräch teilzunehmen (LAG Nürnberg 27.08.2013, 5 TaBV 22/12)
V. HIV-Infektion – Behinderung – AGG und Wartezeitverkündung (BAG 19.12.2013, 6 AZR 180/12)
Joachim Benclowitz
Geschäftsführer Landesverband Nord
A. Aktuelles
I. Immer wieder: Dauer der Probe für die konzertante Aufführung eines musikalischen Bühnenwerkes § 12 Abs. 4 Unterabsatz 1 oder § 12 Abs. 4 Unterabsatz 2 ?
§ 12 Abs. 4 TVK, der die allgemein zulässige Probendauer regelt, hat zwei Unterabsätze. Der erste Unterabsatz betrifft Orchesterproben für ein Bühnenwerk mit und ohne Bühnengeschehen. Für diese Proben ist eine Dauer von drei und zweieinhalb Stunden vorgesehen, wobei diese Begrenzung für Haupt- und Generalproben nicht gilt. Der zweite Unterabsatz trifft für Konzertproben eine Sonderregelung. Während Konzertproben im allgemeinen zweieinhalb Stunden nicht überschreiten sollen, ist für die letzten beiden Proben eine Dauer von drei Stunden vorgesehen.
Die Frage, welchem Unterabsatz die Probe für die konzertante Aufführung eines musikalischen Bühnenwerks zuzuordnen ist, ist im Tarifvertrag nicht klar regelt.
Das LAG Köln hat zu dieser Frage am 24.1.1991, 8 Sa 924/90, entschieden und nimmt insoweit einen gegenteiligen Rechtsstandpunkt als die Kommentarliteratur Bolwin/Sponer in § 12 TVK Rn 65,66 ein.
Nach der Rechtsauffassung des LAG Köln ist die Probe zu der konzertanten Aufführung einer Oper dem Unterabsatz 2 des § 12 Abs. 4 TVK zuzuordnen. Nach Bolwin/Sponer gelten die Regeln über die Haupt- und Generalprobe, also Unterabsatz 1 Satz 1.
Die Tarifpartner haben in § 12 Abs. 4 TVK festgelegt, dass rein musikalische Proben, nämlich Orchesterproben ohne Bühnengeschehen und Konzertproben im allgemeinen zweieinhalb Stunden nicht überschreiten sollen. Weil sich die Probenarbeit in diesen Fällen auf die musikalische Arbeit konzentriert, ist die Probendauer geringer angesetzt. Kommt zu einer Orchesterprobe Bühnengeschehen hinzu, ist entsprechend dem höheren Zeitaufwand eine Probendauer von drei Stunden vorgesehen. Ausnahmen von diesem im Allgemeinen einzuhaltenden Zeitrahmen haben die Tarifpartner für solche Proben vorgesehen, die der ersten Aufführung unmittelbar vorausgehen. Bei der Probe zu einem Konzert sind dies nach der in Unterabsatz 2 getroffenen Sonderregelung die letzten zwei Proben, für die im Allgemeinen drei Stunden zur Verfügung stehen. Bei der Probe von sonstigen Bühnenwerken, die mit einer szenischen Handlung verbunden sind, sind dies die Haupt- und Generalproben, deren Dauer unbegrenzt ist. Damit soll offensichtlich den nicht unerheblichen und oft auch nicht von vornherein zu übersehenden Zeitverzögerungen Rechnung getragen werden, die bei Haupt- und Generalproben von Bühnenwerken mit szenischer Handlung durch Schwierigkeiten in der Bühnentechnik bedingt sind.
Bei der konzertanten Aufführung einer Oper entfällt ebenso wie bei der sonstigen Konzertprobe der oben beschriebene Aufwand bei Proben. Es können keine durch die Bühnentechnik verursachten Verzögerungen eintreten, wie sie bei der Haupt- und Generalprobe von Bühnenwerken mit szenischer Handlung typisch sind.
Nach Auffassung des LAG Köln sind die letzten Proben für die konzertante Aufführung einer Oper ebenso wie die letzten Proben eines Konzertes durch die Konzentration auf die musikalische Arbeit gekennzeichnet.
II. Umsatzsteuer für Bühnen- und Kostümbildner
Wie bereits der Hauptverband im Februar allen Mitgliedern mitgeteilt hat, wurde, nachdem der Bundesgesetzgeber die Bühnen- und Kostümbildner nicht in die im Frühsommer letzten Jahres beschlossene Umsatzsteuerbefreiung für Bühnenregisseure und –choreografen einbezogen hatte, in den letzten Monaten intensiv die Frage diskutiert, unter welchen Bedingungen auf die Leistungen von Bühnen- und Kostümbildnern der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent zur Anwendung kommen kann. Nunmehr hat das Bundesministerium für Finanzen einige Grundsätze dazu erarbeitet und in einem Schreiben an die obersten Finanzbehörden der Länder mitgeteilt, das im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird.
Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent kommt zur Anwendung, wenn die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz ergeben, den wesentlichen Inhalt der Vertragsbeziehung zwischen dem Bühnen- bzw. Kostümbildner einerseits und dem Theater andererseits ausmachen. Davon kann – so das Bundesfinanzministerium – in der Regel ausgegangen werden, wenn für die Aufführung eines bestimmten Bühnenwerkes eigens ein Bühnen- oder Kostümbildner mit dem Entwurf des Bühnenbildes oder der Kostüme beauftragt wird. In diesen Fällen werde es der Auftrag gebenden Bühne regelmäßig gerade auf die schöpferische Leistung des beauftragten Bühnen- und Kostümbildners ankommen, so dass ohne die Übertragung von Urheberrechten die Aufführung bzw. Inszenierung des Bühnenstückes in der beabsichtigten Form rechtlich nicht möglich wäre. Anders sei nur der – in der Tat seltene - Fall zu beurteilen, dass sich die Tätigkeit des Bühnen- oder Kostümbildners lediglich in der handwerklichen Umsetzung vorgegebener Gestaltungsformen erschöpfe.
Der Gastmustervertrag für Bühnen- bzw. Kostümbildner soll auf der Grundlage dieses Schreibens des Bundesfinanzministeriums überprüft werden. Sollte sich daraus ein Änderungsbedarf ergeben, soll das geänderte Vertragsmuster in Kürze mit einem gesonderten Rundschreiben zur Verfügung gestellt werden.
B. Aktuelle Fälle
I. Entschädigungsanspruch wegen Behinderung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG – Kenntnis des Arbeitgebers ( BAG 26.09.2013, Aktz: 8 AZR 650/12 )
Die Parteien stritten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers, der sich wegen seiner Behinderung benachteiligt sieht.
Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60. Er ist ausgebildeter Opernsänger und bewarb sich bei der beklagten Stadt auf die ausgeschriebene Stelle als Erster Tenor im Chor der Oper per Email. Die das Bewerbungsschreiben darstellende E-Mail enthielt keinen Hinweis auf die Schwerbehinderung des Klägers. Lediglich dem beigefügten Lebenslauf war unter dem achtem Unterpunkt „Spezielle Qualifikation“ als letztes hinter fundierten Softwarekenntnissen u.a. die Schwerbehinderung zu entnehmen.
Der Kläger machte geltend, dass trotz seines ausdrücklichen Hinweises auf die Schwerbehinderung die Beklagte wesentliche Verpflichtungen nach § 81 Abs. 1 SGB IX nicht erfüllt habe. Dies indiziere nach § 22 AGG die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung. Die Beklagte indes verweist darauf, die Schwerbehinderung nicht zur Kenntnis genommen zu haben und die Auswahlentscheidung ausschließlich nach künstlerischen Gesichtspunkten getroffen zu haben.
Das BAG hat sowohl die Revision als auch die Klage des Klägers als unbegründet erachtet.
Für eine Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung hat der Kläger den erforderlichen Kausalzusammenhang nicht dargelegt. Im Einzelnen:
Der Kläger hat mit der Ablehnung seiner Bewerbung eine weniger günstige Behandlung erfahren als der ausgewählte erfolgreiche Bewerber. Der Kläger war objektiv für die Stelle geeignet. Für die Beurteilung der objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte. Zwar vermag der Arbeitgeber über den einer Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderte Qualifikation des Stelleninhabers grundsätzlich frei zu entscheiden. Durch überzogene Anforderungen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen.
Die Beklagte lud ihn wegen seiner bestehenden generellen, objektiven Eignung daher zu einem ersten Vorsingen ein. Dass der Kläger im weiteren Bewerbungsgang dann nicht in die Endausscheidung kam, beruht auf dem Auswahlverfahren und damit letztlich auf dem von der Beklagten zu verfolgenden Prinzip der Bestenauslese.
Die Ablehnung erfolgte jedoch nicht „wegen“ der Behinderung. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal der Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund – die Behinderung – das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das verpönte Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst.
Nach § 22 AGG genügt ein erfolgloser Bewerber seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines unzulässigen Merkmals vermuten lässt. Die Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen aus dem SGB IX kann grundsätzlich die Vermutungswirkung des § 22 AGG herbeiführen.
Die Verletzung derartiger Pflichten löst aber nur dann eine Indizwirkung iSd. § 22 AGG aus, wenn der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt gewesen ist oder sie sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können. Soweit dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachweislich schon bekannt oder offensichtlich ist, muss der Bewerber den Arbeitgeber hierüber informieren. Dies hat regelmäßig im Bewerbungsschreiben selbst unter Angabe des GdB, gegebenenfalls einer Gleichstellung zu geschehen. Wird die Information im Lebenslauf angegeben, so hat dies an hervorgehobener Stelle und deutlich, etwa durch eine besondere Überschrift hervorgehoben, zu geschehen. Im Falle einer Behinderung oder Schwerbehinderung wird ein Bewerbermerkmal mitgeteilt, über das nicht jede Bewerberin/jeder Bewerber verfügt. Durch den Hinweis sollen besondere Förderpflichten des Arbeitgebers ausgelöst werden. Wegen der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen und Rechte des Vertragspartners ist auch bei einer Bewerbung der Arbeitgeber über die besondere Situation des Bewerbers klar und eindeutig zu informieren. Daher sind „eingestreute“ oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc keine ordnungsgemäße Information des angestrebten Vertragspartners.
Der Hinweis des Klägers zu seiner Schwerbehinderung erfolgte nicht ordnungsgemäß, die Beklagte hatte und musste keine Kenntnis von dieser Eigenschaft haben.
II. Teilzeittätigkeit eines Vorspielers ( LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 15.10.2013, Aktz.: 5 Sa 119/13 )
Wir berichteten in der LVM Nr. 49 von dem Fall und dem Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin. Leider wurde dies nun vom LAG Mecklenburg-Vorpommern bestätigt.
Unser Mitglied wurde verurteilt, der Verringerung der Arbeitszeit des Klägers auf den Umfang von 50 % einer Vollzeitstelle zuzustimmen. Dem Arbeitszeitverlangen stehen keine betrieblichen Gründe nach § 8 Absatz 4 Satz 1 und 2 TzBfG entgegen.
Das LAG ist der Rechtsauffassung, dass die bloße Vorgabe, im Orchester auf der Vorspielerposition nicht mit Teilzeitmusikern zusammen arbeiten zu wollen, kein Organisationskonzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist. Trotz ausführlicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung kann sich das Gericht der Auffassung der Beklagten, dass aus dem Wunsch nach Homogenität des Klangs und dem damit gewünschten künstlerischen Niveau die Unmöglichkeit der Teilzeitarbeit ergebe, nicht anschließen.
Das Gericht kann nicht nachvollziehen, weshalb die Homogenität des Orchesters nur gewährleistet sein soll, wenn an den Produktionen und den Aufführungen am besten immer dieselben Führungsmusiker beteiligt sind. Denn in den großen und bekannten A-Orchestern sind gerade Schlüsselpositionen wie die des Konzertmeisters und seines Stellvertreters oder auch die der Vorspieler im Regelfall mehrfach besetzt.
Auch die Prognose, der Kläger werde, wenn er lange Jahre Teilzeitarbeit mache, seine Einsatzbreite verlieren, weil er nicht mehr an allen Produktionen teilnehme und damit weniger neue Stücke lernen, hat nicht das Gewicht, dass sich darauf ein Recht auf Verweigerung der Zustimmung zur Teilzeitarbeit ergibt und dürfte eher als ungeprüftes allgemeines Vorurteil gegenüber Teilzeitarbeit zu bewerten sein. Jedenfalls müsse diese Konsequenzen der Kläger bereits ein, zu tragen.
Auch die besondere Stellung des Klägers als Vorspieler rechtfertigt eine andere Bewertung nicht. Es ist nicht deutlich geworden, dass mit der Teilzeittätigkeit des Klägers und des damit verbundenen Wechsel der Konzertmeister auf max. fünf statt vier Personen bzw. Vorspieler von zwei auf drei eine kritische Grenze überschritten wäre, die notwendigen Anpassungsleistungen bei Personalwechsel von den übrigen Beteiligten abzuverlangen.
Ein Eingriff in die Kunstfreiheit von Art. 5 Absatz 3 Satz 1 würde nur dann durchgreifen, wenn wegen des Teilzeitwunsches des Klägers künstlerische Vorstellungen nicht verwirklicht werden konnten. Nach Ansicht des LAG Mecklenburg-Vorpommern hat die Beklagte eine tatsächliche Qualitätseinbuße des Orchesters wegen der Teilzeittätigkeit und damit eine Mitleidenschaft der A-Qualität nicht darzulegen vermocht.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Wir haben Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und werden berichten.
III. Ausgleichzahlung wegen verkürzter Ruhezeiten, § 56 Abs. 3 NV Bühne (BOSchG Frankfurt am Main 5/13)
Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers wegen verkürzter Ruhezeiten.
Das Bühnenschiedsgericht hatte der Klage stattgegeben und damit begründet, dass der Kläger Anspruch auf weitere Ausgleichszahlungen habe, weil ihm an den streitbefangenen Tagen keine angemessene Ruhezeit i.S.v. § 56 Abs. 3 NV Bühne gewährt worden sei. Dabei handele es sich um einen auslegungsbedürftigen, hinsichtlich der konkreten Zeitdauer von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Rechtsbegriff. Für dessen Auslegung sei zum einen zu beachten, dass die Tarifvertragsparteien in § 56 Abs. 3 NV Bühne weder den Begriff der Pause noch den der Ruhepause verwenden, die gem. § 4 ArbZG mindestens 30 Minuten betragen muss. Zum anderen handele es sich immer dann, wenn im NV Bühne oder im ArbZG „Ruhezeiten“ konkret geregelt werden, um erheblich längere Zeiträume als 30 Minuten. Daraus folge, dass unter „angemessener Ruhezeit“ nicht nur die halbstündige gesetzliche Ruhepause verstanden werden könne, sondern dass die Zeitdauer der Ruhezeit deutlich länger sein muss.
Das Bühnenoberschiedsgericht änderte den Schiedsspruch des BSchG und wies die Klage ab. Die Tarifvertragsparteien haben es anders als in den Fällen der §§ 56 Abs. 1 Satz 1, 56 Abs. 2, 73 und 86 NV Bühne unterlassen, die angemessene Ruhepause zwischen zwei Proben hinsichtlich der zeitlichen Mindestdauer festzulegen und den unbestimmten Rechtsbegriff „angemessen“ gewählt. Daraus folge jedoch nicht der zwingende Schluss, dass jede kürzere Ruhezeit unangemessen ist. Es sind durchaus Arbeitszeitgestaltungen an bestimmten Tagen denkbar, in deren Rahmen eine 30-minütige Ruhezeit angemessen ist. Die Angemessenheit muss daher in jedem Fall unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles geprüft werden; eine generalisierende Regelung wird dem offensichtlichen Willen der Tarifvertragsparteinen nicht gerecht.
Namentlich an den streitbefangenen Tagen war die eingeräumte Ruhezeit angemessen. Nur beispielsweise wird hier ein Arbeitstag des Klägers genannt, an denen die Proben von 10 Uhr bis 14 Uhr und von 14.30 h bis 16 Uhr gingen. Eine längere Ruhezeit als 30 Minuten scheint nicht zwingend erforderlich.
Das BOSchG wies weiter daraufhin, dass eine Ruhezeit im Umfang der vom Kläger gewünschten vier Stunden die jeweils recht kurzen Proben in einer Weise zeitlich auseinander reißen würden, dass ein solcher Tagesablauf den allgemeinen Interessen der Beschäftigten eher widerspräche.
Zur Vermeidung solcher Einzelfallprüfungen und -entscheidungen bleibt den Tarifvertragsparteien allein die – nach Auffassung des Bühnenoberschiedsgerichts dringend gebotene – Möglichkeit, durch eine Ergänzung des § 56 Abs. 3 NV Bühne eine Mindestdauer der zwischen zwei Proben einzuhaltenden Ruhezeit zu definieren.
IV. Zustimmungsersetzung zur Eingruppierung einer Leiterin der Requisite in den NV Bühne (ArbG Bremen-Bremerhaven, Aktz.: 8 BV 816/13)
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin als Leiterin der Requisite den NV Bühne.
Der Betriebsrat stimmte der Einstellung zu, verweigerte jedoch die Zustimmung zur Eingruppierung. Die Tätigkeit der Leiterin der Requisite ist in der Vergangenheit dem TVöD zugeordnet gewesen. Aus Sicht des Betriebsrats wird hier lediglich durch die Vereinbarung einer künstlerischen Tätigkeit die Zuordnung zum Geltungsbereich des NV Bühne fingiert, ohne dass arbeitgeberseitig die Absicht besteht, die Kollegin auch vertragsgemäß zu beschäftigen.
Die Arbeitnehmerin bestätigte nach Hinweis durch die Arbeitgeberin ausdrücklich, dass sie mit der Anwendung des NV Bühne anstelle des TVöD einverstanden sei.
Die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung als Leiterin der Requisite war nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen.
Es stellt keine Beeinträchtigung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats dar, dass die Arbeitsvertragsparteien vorliegend für die Tätigkeit der Leiterin Requisite eine überwiegend künstlerische Tätigkeit vereinbart haben. Dem Betriebsrat steht im Rahmen der Eingruppierung lediglich ein Mitbeurteilungsrecht dahingehend zu, ob die Zuordnung zu einem tariflichen Vergütungssystem mit den tarifvertraglichen Vereinbarungen übereinstimmt. Ein Mitgestaltungsrecht hat der Betriebsrat im Rahmen dieser Überprüfung nicht.
Der Geltungsbereich des NV Bühne wird im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „überwiegend künstlerische Tätigkeit“ i.S.v. § 1 Abs. 3 Unterabs. 2 NV Bühne konstitutiv durch die vertragliche Übereinkunft eröffnet. Das Kriterium für den maßgebenden Vertragsinhalt ist die vom Arbeitnehmer auszuübende Tätigkeit, die durch die individualvertragliche Vereinbarung definiert wird ( BAG 25.02.2009 – 7 AZR 942/07). Machen die Arbeitsvertragsparteien von dieser Möglichkeit einer vertraglichen Eingrenzung Gebrauch, ist der maßgebende Tätigkeitsbereich schon aufgrund der Willensübereinkunft als überwiegend künstlerisch anzusehen.
Der Betriebsrat hat nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mit zu beurteilen, ob der betreffende Arbeitnehmer einer der Berufsgruppen der sog. nachgeordneten Bühnentechniker des § 1 Abs. 3 Unterabs. 2 NV Bühne angehört und deshalb die Vergütungsordnung des NV Bühne anzuwenden ist.
Ein möglicher Widerspruch zwischen dem, was ein Angehöriger der in § 1 Abs. 3 Unterabs. 2 NV Bühne genannten Berufsgruppen tatsächlich an Arbeitsleistung erbringt, und der Charakterisierung dieser Tätigkeit als überwiegend künstlerisch ist keine Frage des personellen Anwendungsbereich des NV Bühne, sondern ein Problem der vertragsgemäßen Beschäftigung.
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ergibt sich etwas anderes auch nicht aus der Neufassung des TVöD. Soweit sich der Betriebsrat darauf beruft, diese Regelung erfordere bereits zum Zeitpunkt der Eingruppierung eine Kontrolle der tatsächlichen überwiegenden künstlerischen Tätigkeit, da der TVöD, anders als der NV Bühne, nicht auf die arbeitsvertragliche Vereinbarung sondern auf die tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistungspflicht abstellt, gelte ebenfalls das oben Gesagte. Auch insoweit würde es sich um eine Ausübungskontrolle handeln, die nicht vor Beginn der entsprechenden Ausübung, also zum Zeitpunkt der Eingruppierung, erfolgen kann.
Hinweis:
Dieses Gericht unterscheidet demnach nicht nach „alter“ und „neuer“ Rechtslage. Dennoch empfehlen wir entsprechend der Durchführungshinweise des Deutschen Bühnenvereins bei Mitarbeitern, die nach der Protokollerklärung Nr. 3 zu Absatz 2 Buchst. n TVöD in der Regel unter den TVöD fallen, eine besondere Begründung für die überwiegende künstlerische Tätigkeit. Ob zukünftig tatsächlich ausschließlich auf die Vereinbarung gesetzt werden kann, ist risikobehaftet. Vielmehr wird es – insbesondere in der Diskussion mit Betriebs- oder Personalrat – notwendig sein, für die überwiegende künstlerische Tätigkeit besondere Gründe zu nennen.
C. Aktuelle Rechtsprechung
I. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist – Fremdvergabe von Tätigkeiten (BAG 20.6.2013, 2 AZR 379/12)
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Klägerin war seit 1984 als Reinigungskraft beschäftigt und nicht mehr ordentlich kündbar.
Aufgrund einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung entschloss sich die Beklagte zu Umstrukturierungsmaßnahmen. Unter anderem war beabsichtigt, einen Betriebsteil „Reinigungsdienste“ zu bilden, der im Wege des Betriebsteilübergangs auf einen neuen Inhaber übertragen werden sollte. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Sie wandte sich gegen die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist mit der Begründung, es fehle an einem wichtigen Grund. Die Entscheidung der Beklagten, die Reinigungstätigkeiten an ein Drittunternehmen zu vergeben, sei rechtsmissbräuchlich. Es hätten andere Möglichkeiten bestanden, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, etwa in Form der Personalgestellung bei dem beauftragten Reinigungsunternehmen oder bei der Beklagten selber im Bereich des Immobilienmanagement, der Buchhaltung, des Sekretariats oder als Hausmeisterin.
Das BAG hat die außerordentliche Kündigung als nicht unwirksam angesehen, allerdings zur weiteren Aufklärung, ob der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz Umsetzung ihrer Organisationsentscheidung möglich und zumutbar war, an das LAG zurück verwiesen.
Das BAG führte im Übrigen wie folgt aus:
Gemäß § 626 Abs.1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ist gegenüber einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer grundsätzlich unzulässig. Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde ( BAG 22. November 2012 – 2 AZR 673/11). Allerdings ist der Arbeitgeber in diesem Fall wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung in einem besonderen Maß verpflichtet zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und Nachteilen für den gerade besonders geschützten Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber bei einer auf betriebliche Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung zwingend eine der - fiktiven – ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten.
Die einer betrieblich-organisatorischen Maßnahmen zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit, sondern nur daraufhin zu überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Nachzuprüfen ist außerdem, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für den einzelnen Arbeitnehmer wirklich entfallen ist. Für die Bewertung der betrieblichen Erfordernisse als „dringend“ kommt es nicht darauf an, in welchem Ausmaß für das Unternehmen wirtschaftliche Vorteile durch die Maßnahme zu erwarten sind. Die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation ist mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei. Es ist nach Art. 12 Abs. 1 GG dem Arbeitgeber überlassen, wie er sein Unternehmen führt, ob er überhaupt weiterführt, welche Größenordnung es haben soll und ob er seine Betätigungsfelder einschränkt oder festlegt, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen . Er kann grundsätzlich Umstrukturierungen zum Zwecke der Ertragssteigerung vornehmen. Es kann unter Geltung von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ohnehin nicht darum gehen, ihm die fragliche organisatorische Maßnahme als solche gerichtlich zu untersagen oder eine „richtige“ oder „bessere“ Unternehmenspolitik vorzuschreiben, sondern nur darum, ob ihre tatsächliche Umsetzung eine Kündigung rechtfertigt.
Vom Arbeitgeber ist danach „nur“ im Einzelnen darzulegen und von den Gerichten zu überprüfen, dass bzw. ob das fragliche unternehmerische Konzept eine Kündigung tatsächlich erzwingt. Der Arbeitgeber hat von sich aus darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen.
II. Erstattung von Weiterbildungskosten – Transparenz einer Rückzahlungsklausel (BAG v. 9.08.2013, 9 AZR 442/12)
Die Arbeitgeberin verlangt von der Arbeitnehmerin, Weiterbildungskosten zu erstatten.
Im Streit steht dabei folgende „Nebenabrede zum Arbeitsvertrag“:
„(1) Im Rahmen der nachfolgend genannten Weiterbildung „Fachpflege Psychiatrie“ wird die…. ( Arbeitgeberin ) jeden Mitarbeiter für den Besuch des Lehrgangs freistellen und die Lehrgangsgebühren übernehmen.
(2) Der Angestellte verpflichtet sich, die der … (AG) entstandenen Aufwendungen für die Weiterbildung, einschließlich der Lohnfortzahlungskosten – wie nachfolgend beschrieben – zu ersetzen, wenn das Arbeitsverhältnis auf Wunsch des Angestellten oder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde endet. Ausgenommen ist die Kündigung bzw. der Auflösungsvertrag aufgrund einer Schwangerschaft oder Niederkunft in den letzten drei Monaten. Endet das Arbeitsverhältnis wie oben beschrieben, dann sind
- im ersten Jahr nach Abschluss des Lehrgangs die gesamten Aufwendungen,
- im zweiten Jahr nach Abschluss des Lehrgangs zwei drittel der Aufwendungen
-im dritten Jahr nach Abschluss des Lehrgangs ein Drittel der Aufwendungen zurückzuzahlen.“
Das BAG hat entschieden, dass ein Anspruch auf Ersatz von Weiterbildungskosten nicht besteht. Die Rückzahlungsklausel in Nr. 2 der Nebenabrede ist intransparent (§ 307 Abs.1 Satz 2 BGB) und benachteiligt den Beklagten deshalb unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel entfällt ersatzlos und ist auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung mit einem zulässigen Inhalt aufrechtzuerhalten.
Damit eine Rückzahlungsklausel für Weiterbildungskosten dem Transparenzgebot genügt, muss sie die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für den Arbeitgeber als Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Rückzahlungsklausel muss zumindest Art und Berechnungsgrundlagen der ggf. zu erstattenden Kosten angeben, sonst kann der Arbeitnehmer sein Rückzahlungsrisiko nicht ausreichend abschätzen. Erforderlich ist die genaue und abschließende Bezeichnung der einzelnen Positionen (z.B. Lehrgangsgebühren, Fahrt-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten), aus denen sich die Gesamtforderung zusammensetzen soll, und die Angabe, nach welchen Parametern die einzelnen Positionen berechnet werden.
III. Befristete Leiharbeit und dauerhafter Beschäftigungsbedarf (LAG Schleswig-Holstein 08.01.2014, 3 TaBV 43/13)
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zur befristeten Einstellung einer Leiharbeitnehmerin.
Die Leiharbeitnehmerin war bereits zwei Jahre bei der Beteiligten zu 1. für die Position der Assistenz im Bereich FOD beschäftigt. Grundsätzlich wird im Bereich FOD eine Assistenzstelle benötigt. Eine Assistenzplanstelle wurde von dem amerikanisch geführten Konzern derzeit nicht genehmigt.
Nach Ansicht des LAG hat der Betriebsrat die Zustimmung zu Recht verweigert, da sie im Sinne von § 99 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gegen ein Gesetz verstößt.
Gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme u.a. verweigern, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz verstößt. Geht es um die Übernahme eines Leiharbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers und damit um eine Einstellung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG, muss diese als solche untersagt sein. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der ab 01.12.2011 geltenden Fassung verbietet die mehr als nur vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher.
Die von der Beteiligten zu 1. beabsichtigte, erneut auf zwei Jahre befristete Einstellung der Leiharbeitnehmerin ist nicht nur „vorübergehend“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG.
Der in § 1 Abs. 1 Satz AÜG aufgenommene Begriff „vorübergehend“ ist im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung dahingehend zu konkretisieren, dass je nach Fallkonstellation sowohl eine personenbezogene als auch eine aufgabenbezogene Betrachtung zu erfolgen hat und ein Leiharbeitnehmer bei objektiv dauerhaft anfallender Arbeit nur zu deren aushilfsweiser Wahrnehmung herangezogen werden darf. Andernfalls ist sein Einsatz nicht mehr vorübergehend. Das gilt auch, wenn der Leiharbeitnehmer beim Entleiher – befristet oder unbefristet beschäftigt – Daueraufgaben erfüllt, ohne einen Stammarbeitnehmer abgelöst zu haben.
Würde nur auf die Befristung des Einsatzes des Leiharbeitnehmers, also rein arbeitnehmerbezogene Betrachtung erfolgen, ermöglichte dieses ein „Karussell für Leiharbeitnehmer“, mit dem durch aufeinanderfolgenden Einsatz verschiedener Leiharbeitnehmer ein Dauerarbeitsplatz besetzt oder Daueraufgaben bewältigt werden. dadurch würden den entsprechenden Leiharbeitnehmern die bei dem Entleiher geltenden, in der Regel besseren Arbeitsbedingungen vorenthalten, obwohl der Leiharbeitnehmer aufgrund des dauernden Beschäftigungsbedarfs bei dem Entleiher als Stammarbeitnehmer eingestellt werden könnte. Die Leiharbeit darf jedoch gerade nicht zur Umgehung tariflicher Arbeitsbedingungen missbraucht werden.
Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass kein Stammarbeitsplatz im Stellenplan ausgewiesen ist. Es kann nicht darauf ankommen, ob für die tatsächlich vorhandene Daueraufgabe eine Planstelle geschaffen worden ist. Andernfalls hätte es der Arbeitgeber selbst in der Hand, durch schlichte Deklaration bzw. eigenen Organisationsakt die Anwendbarkeit des AÜG unterlaufen.
IV. Keine Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anordnung des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern, an einem Mediations- abschlussgespräch teilzunehmen (LAG Nürnberg 27.08.2013, 5 TaBV 22/12)
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats wegen der Verletzung von Mitbestimmungsrechten.
Zwischen den Musikern der ersten Geigen war ein Streit über die Verteilung der Sitzplätze hinter dem ersten und dem zweiten Pult entstanden, da vom Sitzplatz indirekt auf die Stellung im Kollektiv im Sinne einer unsichtbaren Hierarchie geschlossen werden könne. Die betroffenen Musiker traten an die Intendanz heran und baten um Unterstützung bei der Beilegung des Streites. Den betroffenen Musikern wurde die Teilnahme an einem Mediationsverfahren angeboten, an dem jedoch nicht alle Musiker der ersten Geigen teilnahmen.
Der Arbeitgeber schrieb die Musiker an und teilte diesen mit, dass am 20.7.2011 ein Gesprächstermin stattfinde, an dem diese verpflichtend teilzunehmen hätten. Der Betriebsrat ist der Ansicht, dass sich bei Orchestermusikern die Arbeitszeit auf die im Dienstplan vorgesehenen Dienste beschränke. Ordne der Arbeitgeber darüber hinaus die verpflichtende Teilnahme an einem Gruppengespräch an, so sei der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG bzgl. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit betroffen. Weiter müsse der Arbeitgeber den betroffenen Musiker wenigstens mitteilen, dass die Teilnahme freiwillig sei.
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg entschied, dass dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch nicht zustehe. Bei der Anordnung der Teilnahme der die ersten Geige spielenden Musiker des Orchesters an dem Abschlussgespräch einer Mediation am 20.07.2011 standen dem Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG zu.
Bei der Teilnahme an dem Abschlussgespräch handelt es sich nicht um Arbeitszeit.
Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG ist die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringen soll. Es geht um die Festlegung des Zeitraums, während dessen der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflichten verlangen und dieser sie ihm ggf. mit der Folge des § 293 BGB anbieten kann.
Durch die Teilnahme an einer vom Arbeitgeber veranlassten Mediationsmaßnahme wegen aufgetretener Unstimmigkeiten zwischen Belegschaftsmitgliedern erbringt ein Arbeitnehmer keine Arbeitleistung im vorgenannten Sinn. Der Umstand, dass die Mediation im Interesse des Arbeitgebers durchgeführt wird, macht die dafür aufgewendete Zeit nicht automatisch zu einer solchen, während derer Arbeit geleistet würde. Auch der Umstand, dass der Arbeitgeber die Teilnahme an dem Abschlussgespräch „verpflichtend angeordnet“ hat, lässt die aufgewendete Zeit noch nicht als Arbeitszeit erscheinen. Die betroffenen Mitarbeiter waren zur Teilnahme an der Mediation und damit an dem Abschlussgespräch nicht aufgrund einer wirksamen Weisung verpflichtet.
Der Arbeitgeber kann nach § 106 Satz 1 und 2 GewO gegenüber allen Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleitung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Das Weisungsrecht erschöpft sich nicht nur in der Konkretisierung der Hauptleistungspflichten, vielmehr tritt eine nicht abschließend aufzählbare, je nach den Umständen näher zu bestimmender Vielzahl von Pflichten hinzu, deren Erfüllung unumgänglich ist um den Austausch der Hauptleistungen sinnvoll zu ermöglichen.
Nachdem einer Mediation das Element der Freiwilligkeit immanent ist (vgl. § 1 Abs. 1 MediationsG), schließt dies bereits aus, dass ein Arbeitgeber durch Ausübung seines Weisungsrechts Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer Mediation verpflichten kann. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann es sich bei der Teilnahme an dem Mediationsabschlussgespräch nicht um eine leistungssichernde Verhaltenspflicht der Arbeitnehmer und damit nicht um Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nrn 2 und 3 BetrVG handeln.
V. HIV-Infektion – Behinderung – AGG und Wartezeitverkündung (BAG 19.12.2013, 6 AZR 180/12)
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung in der Probezeit.
Der Arbeitgeber produziert Arzneimittel zur Krebsbehandlung, die intravenös verabreicht werden. Der Arbeitnehmer ist angestellt als chemisch-technischer Assistent und sollte im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung teilte der Arbeitnehmer dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert, aber symptomfrei.
Der Arbeitgeber ist der Auffassung, dass die Kündigung aus Gründen der Arbeitsicherheit unumgänglich gewesen sei. Der Arbeitnehmer leide an einer ansteckenden Krankheit. Es könne von ihr nicht verlangt werden, sich dem Risiko von Schadenersatzansprüchen, eines drohenden Lizenzverlustes und der Verhängung von Ordnungswidrigkeitsstrafen auszusetzen. Setze sie einen HIV-Positiven in der Medikamentenproduktion ein, komme es zu einer nicht hinnehmbaren Rufschädigung.
Ob vorliegend eine Diskriminierung wegen der Behinderung des Arbeitnehmers vorgelegen hat, konnte nicht abschließend festgestellt werden. Folgende Aussagen sind dem Urteil des BAG jedoch zu entnehmen:
1. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutz ( noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 , §§1,3 AGG unwirksam. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen.
2. Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren ( Barrieren) – seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann.
Die symptomlose HIV-Infektion des Klägers hat eine Behinderung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.
3. Die streitbefangene Kündigung stellt eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbaren Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund ( Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft. Ob tatsächlich der Einsatz des Arbeitnehmers im Reinraum dauerhaft unmöglich ist und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.
4. Die bei dem Arbeitgeber geltenden SOP ( „Standard Operating Procedere“), die der Umsetzung von Leitlinien der EU-Kommission hinsichtlich der Herstellung von Arzneimittel und Wirkstoffen, dient, entbindet den Arbeiteber nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessenen Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Arbeitnehmers im Reinraum zu treffen. Damit wird vom Arbeitgeber nicht verlangt, sehendes Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, u.U. die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Bisher sei jedoch nicht vorgetragen worden, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken.